Abstract
Vermutlich mehr als andere sind gerade Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen angesichts der COVID-19-Pandemie verunsichert und haben viele Fragen: Welche Infektionsrisiken gibt es? Soll die Atemwegstherapie fortgeführt oder abgesetzt werden? Wie lassen sich die Symptome von Asthma oder COPD von denen einer COVID-19-Infektion abgrenzen? Um diesem Informationsbedürfnis entgegen zu kommen, beleuchteten Experten am 09. April 2020 in einer PneumoLive-Sondersendung verschiedene pneumologische Perspektiven der Coronavirus-Pandemie. Prof. Dr. Roland Buhl aus Mainz, Prof. Dr. Mathias Pletz aus Jena, Prof. Dr. Oliver Pfaar aus Marburg und Prof. Dr. Claus Vogelmeier aus Marburg gaben Ärzten aktuelle Informationen und konkrete Empfehlungen für Ihre Patienten an die Hand. Die Highlights der Sendung haben wir für Sie zusammengefasst.
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Aktuelles zur Coronavirus-Pandemie aus Sicht von Pneumologen
Prof. Dr. Roland Buhl, der die Moderation der Sendung übernahm, wies zunächst darauf hin, dass einige der Empfehlungen eher „Eminenz- statt Evidenz-basiert“ seien, da in vielen Bereichen noch keine randomisiert-kontrollierten Studien vorhanden sind. Es gebe zwar zahlreiche Informationen zu Studien im Zusammenhang mit COVID-19, über die sogar die Laienpresse berichtet, bei deren Interpretation müsse man jedoch vorsichtig sein, denn häufig gebe es keinen Peer-Review, erläuterte Prof. Dr. Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena, und fügte hinzu: „Wir haben versucht, die Studien zu sortieren und zu bewerten.“
Was sollten Ärzte über Coronaviren wissen?
Pletz gab einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse zu Coronaviren und erläuterte die Besonderheit dieser Pandemie: „Das Virus wird als SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus 2) bezeichnet und hat es im Gegensatz zu SARS-CoV-1 geschafft, sich in den oberen Atemwegen zu replizieren und ist damit deutlich leichter übertragbar.“
Der Hauptübertragungsweg ist die Tröpfcheninfektion, aber auch eine Schmierinfektion sowie eine Infektion über die Konjunktiven der Augen sind möglich. Eine Übertragung via Aerosol sei umstritten, laut Pletz gebe es aber Hinweise, dass Gesichtsmasken Coronaviren in Tröpfchen und Aerosol zurückhalten können. Patienten mit respiratorischen Symptomen sollten daher beim Arzt-Besuch einen Mund-Nasen-Schutz tragen, um das Praxispersonal sowie andere Patienten zu schützen. Pletz befürwortet auch eine generelle Maskenpflicht, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr.
Wie schützt man sich als Gesundheits-Mitarbeiter vor einer SARS-CoV-2-Infektion?
Dunkelziffer unbekannt, Klinik hochvariabel
Im Hinblick auf den klinischen Verlauf startete Pletz mit einer guten Nachricht: „Die überwiegende Mehrzahl aller symptomatischen Fälle verläuft sehr milde, quasi wie eine normale Erkältung.“ Er fügte hinzu: „Etwa 20 % der Betroffenen müssen hospitalisiert werden, davon ist ein Viertel auf der Intensivstation. Und die Hälfte der Patienten auf der Intensivstation können an dieser Erkrankung versterben.“
Die COVID-19-Infektion bringt aktuell noch einige Unklarheiten mit sich, beispielsweise ist die Dunkelziffer unbekannt. „Nur eine kleine Kohorte auf dem Kreuzfahrtschiff ‚Diamond Princess‘ zeigte, dass die Hälfte der Menschen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde, keine Symptome hatte“, erläuterte Pletz. Hinzu komme, dass die klinischen Ausprägungen hochvariabel sein können: „Nicht alle Patienten haben die typischen Symptome Fieber, trockener Husten und Kurzatmigkeit. Auch andere Symptome, wie zum Beispiel Durchfall, können eine Rolle spielen. Wir sind daher in unserer Klinik dazu über gegangen, alle Patienten auf COVID-19 zu testen.“
Zwei Phasen der Erkrankung
„Wir wissen mittlerweile, dass die Erkrankung zwei Phasen hat“, so Pletz. Bei COVID-19 ist die mittlere Inkubationszeit mit 3–5 Tagen deutlich länger als bei Influenza. Patienten, die Symptome entwickeln, sind etwa über den Zeitraum von einer Woche leicht krank. Patienten, die nach einer Woche noch Fieber haben, können innerhalb von 2 Tagen Luftnot entwickeln, die zur Krankenhauseinweisung führt, und weitere 2 Tage später kann die Intensivstation erforderlich werden.
Bei welchen Patienten entwickelt sich ein schwerer Verlauf?
Momentan sei noch nicht klar, welche Patienten in die zweite Phase eintreten. „Was wir aktuell wissen, ist, dass in der Frühphase hauptsächlich die Virus-Replikation stattfindet. Bei den Patienten, bei denen es nicht gelingt, das Virus zu containen, gibt es dann eine fehlgeleitete Wirtsantwort, die zu diesem schweren pneumologischen Krankheitsbild führt“, erläuterte Pletz. Lediglich im Hinblick auf die Risikofaktoren, die zu einer erhöhten Mortalität führen, sei mehr bekannt: „Ab einem Alter von 50 Jahren erhöht sich das Risiko. Außerdem ist die Sterblichkeit bei Männern und bei kardiovaskulären Komorbiditäten deutlich höher.
Diagnostik: Hauptsächlich PCR + CT
„Die Diagnostik erfolgt derzeit vor allem mittels PCR durch Virusnachweis in Material aus oberen und unteren Atemwegen“, erläuterte Pletz, wobei er darauf hinwies, dass ein negativer PCR-Test bei einer Sensitivität von nur 70 % die Erkrankung nicht sicher ausschließt. Als komplementäre Messmethode kommt eine Antikörper-Messung in Frage, die jedoch momentan nicht überall verfügbar ist. CT-Veränderungen haben eine höhere Sensitivität als PCR und sind eine Möglichkeit für Notaufnahmen, um typische COVID-19-assoziierte Infiltrate zu erkennen. Hinsichtlich der Therapie gebe es aktuell keine klaren Empfehlungen aufgrund von fehlender Evidenz.
Zusammenfassung:
- Ein Großteil der Übertragungen erfolgt durch asymptomatische oder prä-symptomatische Patienten, und zwar nicht nur beim Husten oder Sprechen, sondern wahrscheinlich auch durch das Ausatmen (Exhalat).
- Es handelt sich um meist blande Infektionen. Bei circa 15 % der symptomatischen Patienten setzt eine rapide Verschlechterung nach 7–10 Tagen ein. Die Ursache dieser Verschlechterung ist nicht verstanden. Obduktionsergebnisse legen nahe, dass Embolien dabei eine Rolle spielen können.
- Wichtigste Risikofaktoren sind ein höheres Alter (> 50 Jahre), männliches Geschlecht und kardiovaskuläre Komorbiditäten. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für Raucher und Patienten mit einer Lungenvorerkrankung wie z.B. COPD-Patienten.
- Die Diagnostik erfolgt derzeit vor allem mittels PCR durch Virusnachweis in Material aus oberen und unteren Atemwegen, (Hinweis: Ein negativer PCR-Test schließt bei einer Sensitivität von nur 70 % die Erkrankung nicht sicher aus). Antikörper sind komplementär, aber momentan noch nicht überall verfügbar. CT-Veränderungen haben höhere Sensitivität als PCR und sind eine Möglichkeit für die Notaufnahmen.
- Hinsichtlich der Therapie gibt es keine klaren Empfehlungen aufgrund von fehlender Evidenz.
ASTHMA / ALLERGIEN
Aufklärung nötig: „Bitte lassen Sie Ihre Patienten nicht alleine“
Prof. Dr. Oliver Pfaar, Marburg, appellierte an seine Kolleginnen und Kollegen, die Patienten in der momentanen Situation nicht alleine zu lassen: „Die Aufgabe von uns als Ärzten ist es, eine klare Position zu beziehen und Allergiker sowie Asthmatiker umfangreich aufzuklären, dass sie kein höheres Risiko haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren.“ Pfaar betonte dabei, dass diese Patienten kein geschwächtes Immunsystem haben. Dennoch gelte generell, dass sich bei Infektionen allergisch-asthmatische Beschwerden verschlechtern können. Daher sei es wichtig, durch Vermeidung einer Allergen-Exposition sowie mit einer adäquaten Therapie die Entzündung im Bronchialsystem zu minimieren.
Optimale Asthma-Kontrolle beibehalten, Exazerbationen vorbeugen
Auch Prof. Dr. Roland Buhl, Mainz, bestätigte, dass es bislang keine Hinweise auf ein erhöhtes SARS-CoV-2-Infektions- oder Mortalitätsrisiko bei gut kontrolliertem, leicht- bis mittelgradigem Asthma gebe. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Asthma-Therapie das Risiko für Virusinfektionen erhöht: „Es ist wichtig, dass wir die inneren Schleimhäute so gut wie möglich behandeln, um der Entzündung entgegenzuwirken, die Schleimhäute wiederherzustellen und so eine normale Immunreaktion gegen Viren zu erhalten. Virusinfektionen sind die Ursache für einen Großteil der Asthma-Exazerbationen und Patienten mit einer optimalen Asthma-Kontrolle haben somit einen Vorteil bei der Exazerbations-Prävention.“
Patienten-Management Asthma
Insbesondere Kortikosteroide und Biologika nicht absetzen
Buhl, der Mitglied im wissenschaftlichen Komitee der Global Initiative for Asthma (GINA) ist, verwies in diesem Zusammenhang auch auf die neuesten Änderungen im GINA Report 2020 (www.ginasthma.org):
„Asthma-Patienten sollen die bewährte Therapie beibehalten, insbesondere inhalative (ICS) und orale Steroide (OCS), wenn verordnet. Das Absetzen von Kortikosteroiden kann zu gefährlichen Verschlechterungen der Asthma-Kontrolle führen.“ Bei Patienten mit schwerem Asthma soll auch die Biologika-Therapie fortgesetzt werden. „Alles, was im GINA-Stufenschema hinsichtlich der Therapie-Empfehlung aufgeführt wird, gilt auch für Patienten, die ein gewisses Risiko einer Coronavirus-Infektion haben. Also bitte ich darum, die verordneten Asthma-Therapien beizubehalten.“
Generelle Empfehlungen für Asthma-Patienten
Asthma-Exazerbation vs. Atemwegsinfektion
Zusammenfassung
- Bei Patienten mit allergisch-asthmatischen Beschwerden ist die Entzündung im Bronchialsystem mit einer Vermeidung der Allergen-Exposition sowie mit einer adäquaten Therapie zu minimieren.
- Eine umfangreiche Aufklärung von Allergikern sowie Asthmatikern, dass sie kein höheres Risiko haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, ist wichtig.
- Eine optimale Asthma-Kontrolle bietet einen Vorteil bei der Exazerbations-Prävention, da Virusinfektionen die Ursache für einen Großteil der Asthma-Exazerbationen sind.
- Asthma-Patienten sollten die bewährte Therapie beibehalten und insbesondere Kortikosteroide und Biologika nicht absetzen.
- Alle Therapie-Empfehlungen des GINA-Stufenschemas gelten auch für Patienten, die ein gewisses Risiko einer Coronavirus-Infektion haben.
Handlungsempfehlungen bei COPD-Patienten
COPD
Prof. Dr. Claus Vogelmeier aus Marburg analysierte in seinem Vortrag das Risiko für COPD-Patienten und gab Empfehlungen hinsichtlich der Differentialdiagnostik und Therapie. Er stellte zunächst Daten zur Charakteristik von 50 an COVID-19 erkrankten und in der Uniklinik Aachen hospitalisierten Patienten vor:
„Ungefähr ein Fünftel der Patienten hatte eine COPD. In Deutschland sieht es daher so aus, dass COPD mit einem höheren Risiko für einen schwereren Verlauf und ARDS („acute respiratory distress syndrome“) einhergeht.“
Auch bei COPD gilt: Übliche Therapie beibehalten
„Es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass die Gabe von Steroiden zu einem erhöhten Risiko für einen schwereren Verlauf der Erkrankung führt“, sagte Vogelmeier und ergänzte: „Und das hat dazu geführt, dass GOLD die Empfehlung ausgesprochen hat, dass COPD-Patienten ihre übliche Therapie beibehalten sollen.“
Differenzierung von Exazerbation vs. COVID-19-Infektion
Bei der Differenzierung einer COPD-Exazerbation von einer COVID-19-Infektion gelten laut Vogelmeier die gleichen Regeln wie bei Asthma: „Hohes Fieber ist kein häufiges Symptom von COPD-Exazerbationen, daher sollte man hier in eine andere Richtung denken.“ Er betonte, wie wichtig es sei, neben dem Abstrich ein CT durchzuführen, um die Differenzierung abzusichern: „Anhand des CT können Lungen-Manifestationen der COVID-19-Infektion detektiert werden, die so bei einer COPD-Exazerbation nicht vorkommen.“
Rauchen als Risikofaktor
Vogelmeier bezog sich bei seiner Einschätzung hinsichtlich des Risikos für Raucher auf Daten aus China, wo eine sehr hohe Raucher-Dichte herrscht: „Eine Analyse von 5 Studien aus den ersten zwei Monaten der COVID-19-Pandemie zeigt, dass Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern ein erhöhtes Risiko haben, schwere Symptome zu entwickeln, auf die Intensivstation zu kommen, beatmet zu werden und zu versterben. Das sei laut Vogelmeier ein klarer Indikator dafür, von Zigaretten fern zu bleiben: „Rauchen ist für diese Erkrankung ein echtes Risiko!“
Welche Rolle spielen Impfungen?
Hinsichtlich der Vakzinierungen verwies Vogelmeier auf die aktuellen GOLD-Empfehlungen 2020 (www.goldcopd.org): „Bei COPD-Patienten sollte sowohl eine Impfung gegen Influenza als auch gegen Pneumokokken erfolgen. Und das ist auch mit Hinblick auf Daten aus China unverändert gültig. Diese Daten zeigen, dass bei Patienten, die verstorben sind, deutlich häufiger bakterielle Infektionen vorhanden waren, als bei Patienten, die die COVID-19-Infektion überlebt haben.“
Zusammenfassung
- Die Risiken für Raucher sind substantiell erhöht.
- Die Risiken für COPD-Patienten für schwere Verläufe sind erhöht.
- Influenza- und Pneumokokken-Impfung werden für COPD-Patienten empfohlen.
- Die Differenzierung zwischen COPD-Exazerbation und COVID-19 Infektion bezieht sich auf die typischerweise unterschiedliche Symptomatik. Das einzige gemeinsame Symptom ist Atemnot, die anderen Symptome unterscheiden sich. Darüber hinaus wird empfohlen, mittels CT die Manifestationen in der Lunge zu analysieren.
- Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Risiko für Patienten unter ICS (inhalative) oder OCS (orale Steroide) erhöht ist.