Abstract
Auch in diesem Jahr hat die Global Initiative for Asthma (GINA) aktualisierte Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie der chronisch-entzündlichen Atemwegserkrankung publiziert.1 Neben aktuellen Hinweisen zum Umgang mit SARS-CoV-2 hat die Expertengruppe den Einsatz einer Fixkombination aus ICS/Formoterol als Bedarfstherapie bei mildem Asthma (ab Stufe 1) weiter konkretisiert und das, obwohl in vielen Ländern noch keines der Kombinationspräparate für diese Anwendung zugelassen ist. Die Empfehlungen stehen dennoch im Einklang mit anderen Expertenmeinungen, wie z. B. der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Asthma, die vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) herausgegeben wird. Wir sprachen zum GINA-Update mit Prof. Dr. Roland Buhl, Leiter des Schwerpunktes Pneumologie an der Universitätsmedizin Mainz.

Herr Prof. Buhl, welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen in den aktuellen GINA-Empfehlungen?
Buhl: Aus aktuellem Anlass hat GINA Empfehlungen zum Umgang mit SARS-CoV-2 und COVID-19-Patienten aufgenommen. Die wichtigste Aussage darin ist, dass Patienten ihre verordnete Therapie weiterführen sollen, da weder inhalierbare Kortikoide noch Biologika noch kurzzeitige Therapien mit oralen Kortikoiden in dieser Hinsicht ein Risiko darstellen. Im Gegenteil: Das abrupte Absetzen der Medikation kann zu einer Verschlechterung der Asthma-Kontrolle bis hin zu schweren Asthma-Anfällen führen. Außerdem soll jeder Patient einen schriftlichen Therapieplan von seinem Arzt erhalten, da viele Patienten aus Angst sich anzustecken, die Arztbesuche deutlich reduziert haben.
Wenn andere Menschen in der Nähe sind, sollte der Patient außerdem keinen Vernebler verwenden, weil dieser bei einer vorliegenden Infektion das Risiko birgt, ein infektiöses Aerosol zu erzeugen.
In GINA 2020 haben wir außerdem die Empfehlungen für Patienten mit leichtem Asthma konkretisiert. Für Patienten der Stufe 1, also mit nur gelegentlichen Beschwerden, empfehlen wir die Fixkombination aus einem inhalierbaren Kortikoid (ICS) und dem Betamimetikum Formoterol bei Bedarf. Eine Alternative ist die Dauertherapie mit einem ICS und die Gabe eines Betamimetikums über einen zweiten Inhalator bei Bedarf. In Stufe 2 haben wir die ICS/Formoterol-Therapie gleichwertig mit einer Dauertherapie mit einem inhalierbaren Kortikoid und einem Betamimetikum bei Bedarf bewertet. In Stufe 5 haben wir das Biologikum Dupilumab neu aufgenommen. Zudem haben wir den Therapiebeginn konkretisiert: Patienten, die nicht täglich Symptome haben, sollen in Stufe 2 einsteigen und Patienten, die häufiger Beschwerden haben, aber kaum nachts aufwachen, in Stufe 3, alle anderen in Stufe 4.
GINA 2020 empfiehlt den Einsatz von ICS/Formoterol als Bedarfstherapie bei mildem Asthma. In Deutschland gibt es dafür allerdings keine Zulassung. Welchen Umgang empfehlen Sie Ihren Kollegen in der Praxis mit diesem therapeutischen Dilemma?
Buhl: Ich wende diese Präparate in dieser Situation seit Jahren an. Alle Leitlinien, darunter auch die Nationale Versorgungsleitlinie Asthma des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), empfehlen dieses Vorgehen. Offiziell sind die Präparate in dieser Indikation aber nicht zugelassen. Jeder Arzt sollte mit seinen Patienten die möglichen Therapiestrategien besprechen und dann gemeinsam entscheiden, welches das individuell richtige Vorgehen ist.
GINA empfiehlt auf Stufe 1 und 2 ICS/Formoterol. Erwarten Sie bezüglich der ICS/Formoterol-Empfehlung auf Stufe 1 und 2 in GINA, dass diese Empfehlung künftig konkretisiert wird?
Buhl: Bisher gibt es die beste Evidenz für die Kombination aus Budesonid und Formoterol bzw. Beclometason und Formoterol. Zu den Kombinationen Fluticason/Formoterol und Mometason/Formoterol gibt es weniger Studiendaten. Das wird sich möglicherweise ändern. Wir sehen aber bisher keinen Grund, diese Empfehlung zu konkretisieren. Diese Entscheidung sollten wir dem behandelnden Arzt überlassen.
Erstmals unterscheidet GINA in den aktuellen Empfehlungen zwischen Standard- und extrafeinen ICS-Partikeln. Welche Bedeutung hat diese Differenzierung aus Ihrer Sicht in der Praxis?
Buhl: Diese Differenzierung ist wichtig, weil inhalierbare Kortikoide das Rückgrat der Asthmatherapie sind. Daher müssen wir auch auf mögliche Unterschiede achten, sowohl in Bezug auf verschiedene Inhalatoren als auch in Bezug auf die Galenik. Die Größe der Partikel hat einen Einfluss darauf, wo und wie gut diese bei der Inhalation in der Lunge aufgenommen werden. Das müssen wir wiederum bei der Dosierung berücksichtigen, damit Patienten nicht eine zu hohe oder zu niedrige Dosis erhalten. Bei extrafeinen Partikeln ist eine geringere Dosis für den gleichen Effekt notwendig.
Vor dem Einsatz von ICS/Formoterol als Bedarfstherapie soll der Arzt laut GINA 2020 weder FeNO (fractional exhaled nitric oxide (NO), fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid) noch Entzündungsmarker wie Eosinophile im Blut bestimmen. Verschiedenen Studien zufolge können Eosinophile eine Entscheidungshilfe für die Therapiesteuerung darstellen. Bleibt hier nicht vorhandene Evidenz ungenutzt?
Buhl: Erste Untersuchungen zeigen, dass Biomarker, wie Eosinophile und das Stickoxid im Exhalat, also FeNO, uns möglicherweise in Zukunft helfen können, Patienten auch in frühen Stufen und bei mildem Asthma genauer zu charakterisieren und darauf basierende Therapieentscheidungen zu treffen. Auch wenn diese Themen bei Kongressen intensiv diskutiert werden, ist es aktuell noch zu früh, um dieses Konzept in die Praxis zu bringen. Ich bin mir aber sicher, dass wir bei immer mehr Asthma-Patienten diese Biomarker bestimmen werden.
Die Therapie-Adhärenz von Asthma-Patienten ist häufig unzureichend und die GINA-Empfehlungen basieren unter anderem auf dieser Erkenntnis. Sehen Sie hier bereits einen Effekt?
Buhl: Nein, das ist noch zu früh. Viele Patienten, die keine Beschwerden haben, fragen sich, warum sie täglich inhalieren sollen und gehen dann nicht immer ganz konsequent mit ihren Behandlungsempfehlungen um. Das ist nachvollziehbar. Deshalb empfehlen wir die ICS/Formoterol-Kombinationen bei Bedarf als eine sehr gute Alternative. Ob sich das auch außerhalb klinischer Studien auf die Adhärenz auswirkt, bleibt aber noch abzuwarten.
Wie schätzen Sie die Adhärenz von Asthma-Patienten in der aktuellen COVID-19-Pandemie ein? Wirkt sich die Pandemie messbar auf die Adhärenz und mögliche Exazerbationen aus?
Buhl: Bisher gibt es dazu keine Zahlen. Aber wir wissen, dass viele Patienten besonders im März und April nicht zum Arzt gegangen sind. Auch jetzt vermeiden viele Patienten noch einen Arztbesuch. Ich kann mir daher vorstellen, dass die Adhärenz in dieser Zeit schlechter geworden ist, und damit auch die Therapieergebnisse schlechter sind.